Thursday, February 7, 2013

Von Fixern Und Freischaffenden

Es ist ein offenes Geheimnis. Ein Geschäftsmodell, das entlang der Grenze blüht. Du möchtest nach Syrien rein? Kein Problem, wenn man dich begleitet. Zu deinem Schutz natürlich. Fahrer, Übersetzer, bewaffnete Leibwache - das Angebot an Begleitern ist mannigfaltig, viele drängen sich auf dem freien Markt der organisierten Ausflüge in ein vom Krieg gezeichnetes Land. In früheren Zeiten der Revolution war Berichten zufolge das Betreten und das gesicherte Verlassen unentgeltlich, die Syrer waren froh, den ausländischen Besuchern die Realität auf dem Boden zu zeigen, sie boten ihnen die Möglichkeit, mit den Opfern des bewaffneten Konflikts zu sprechen, den Vertriebenen, den Verwundeten. Doch diese Zeiten haben sich geändert mit dem Auftreten hoch dotierter internationaler Journalisten und Fotografen, die im Auftrag grosser Medienagenturen unterwegs sind, um über das Drama in Syrien zu berichten.

Es geht mittlerweile um Geld. Ein paar hundert US$ sind üblich, grössere Agenturen zahlen dementsprechend deutlich mehr auf der Suche nach der Geschichte hinter der Geschichte. Die Frontlinien im Norden, von Idlib bis Aleppo, sind voller professioneller Berichterstatter, die Zeugen der Maschinengewehrgefechte und des Artilleriedauerfeuers werden. MIt einem Katheeba, einem Batallion, unterwegs zu sein, wird zu einem lukrativen Business, einige der Freiheitskämpfer behaupten, das Geld, das sie für ihre Dienstleistung erhalten, an bedürftige Syrer weiterzuleiten, andere wiederum, dass die Einnahmen 'in die Revolution' investiert werden, was soviel bedeutet, dass davon Versorgungsgüter wie Benzin oder Gas erstanden werden, und natürlich Waffen. Man kann es nicht vermeiden, Teil von dem Spiel zu werden. Selbst wenn sie noch so beteuern, ihr Honorar nicht zur Aufrüstung ihres Arsenals zu verwenden. Die monetarisierte Tragödie hinterlässt auf jeden Fall einen bitteren Nachgeschmack. Eine Handvoll Top-Fixer kontrollieren mehr oder weniger den gesamten Geschäftszweig, arrangieren auf professionellem Niveau All-Inclusive Rechercherundreisen, der Rest bietet sich verzweifelt auf dem Markt feil, vom Kontakter bis zum Zwischenhändler. Facebookseiten, deren Namen aus sämtlichen Kombinationen der Begriffe Freies Syrien, Medien, Journalisten, Agentur, Center besteht, schiessen wie Pilze aus dem Boden; auf den Strassen von Kilis, Reyhanli oder Antakya braucht man nur durch die Strassen schlendern, bis man angesprochen wird, erst der übliche Smalltalk, dann die magische Frage: Möchtest du rein nach Syrien?

Ausser dem Geld spielt Vertrauen eine wichtige Rolle. Kannst du der Person über den Weg trauen, die dir eine geführte Tour anbietet, die dich illegal über die Grenze schleust? Vergiss nicht, in den allermeisten Fällen sprichst du lediglich mit einem Kontakter. Auf seinen Deal einzugehen und sich plötzlich auf der Rückbank eines Wagens wiederzufinden, umgeben von alles andere als vertrauenserweckenden Figuren, könnte unter Umständen zu spät sein, um auszusteigen, so oder so. Syrer können sehr überzeugend wirken, wenn sie ihre Absichten verfolgen. Ein zögerliches 'vielleicht' und der Typ hat bereits sein Handy am Ohr, bereit, alles klarzumachen, jetzt gleich, auf der Stelle. Besser in dem Fall argumentieren, du müsstest erst noch Rücksprache mit deinen Auftraggebern halten (egal, ob's stimmt oder nicht, wirkt zumindest souverän) und ob man nicht die Mobilfunknummern austauschen könne, du würdest dich dann bei ihm melden, wenn alles klar geht. Hol dir ein türkisches Handy plus Prepaid-Karte, ist vergleichsweise günstig, nahezu alle Syrer, die in der Gegend sind, haben eins. Auch wenn der Vermittler dir versichert, Geld sei nicht das Problem, es gehe um die Wahrheit, über die berichtet werden muß, spätestens bei deiner Rückreise über die Grenze könnte es sich zu einem Problem entwickeln. Generell wird empfohlen, mindestens 500 US$ während des Verbleibs in Syrien mit sich zu führen, für alle Fälle, und diese treten mit Sicherheit ein. Fahrer können verschwinden, Autos nicht mehr funktionieren, eine Granate oder eine Kugel dich treffen. Betrachte es als deine persönliche Absicherung gegen das Unvorhersehbare, neben dem Tod der treueste Begleiter auf deiner Reise. Solltest du nicht zu der Gilde der professionellen Berichterstatter gehören, solltest du einfach nur die bewaffneten Rebellen begleiten wollen, selbst ein Gewehr in die Hand nehmen, dann sind die Chancen hoch, dass sie dich gratis reinbringen.

Viele Erzählungen ranken um Gefechtsfreiwillige, die sich den Katheebas anschliessen, an ihrer Seite kämpfen, Regimesoldaten und Shabeeha töten. Ehrenwertes Engagement oder zweifelhafter Heroismus? Kommt ganz darauf an, von welcher Seite man es betrachtet. Einige der Rebellen sind heilfroh über jede helfende Hand, auch wenn Blut daran kleben sollte, welches auch immer, solange es nicht das des freiheitskämpfenden syrischen Volkes ist. Verzweifelte Lagen schaffen verzweifelte Massnahmen. Menschenliebende Idealisten werden früher oder später in dieser Atmosphäre verglühen, sollten sie nicht mit ihresgleichen in Kontakt kommen.

Desillusionierung ist eine der Eintrittskarten hier unten. Von der gemütlichen Couch aus betrachtet, tausende Kilometer weit entfernt vom Geschehen, Laptop auf den Oberschenkeln, wirkt alles so tapfer, selbstlos, couragiert. Doch die Realität hier unten wirft dich genauso jäh zu Boden wie die Hand eines Shabeehs nach deiner Festnahme. Es gibt einen neuen Gesamtausdruck, der Tod und Zerstörung beschreibt: Profitabel. Akzeptiere es und die Welt wird sich weiterdrehen. Der Wert menschlichen Lebens ist ist auf Clicks, Likes, Einschaltquoten, Auflagestärke reduziert; ein strahlendes Kind zwischen den Zelten im Flüchtlingscamp, eine weinende Mutter, die den Tod ihres geliebten Sohnes betrauert, ein resignierender Patient, der vor dem Hospital auf eine Visite, eine Weiterbehandlung wartet - all diese Bilder besitzen sozusagen reinen materiellen Wert, um Aufmerksamkeit beim Betrachter der Bilder, beim Leser, beim Spendewilligen zu wecken.

Neugier hat in diesem Fall nicht die Katze umgebracht, Neugier tötete die letzten hoffnungsvollen Erwartungen der Opfer, der bedrängten und bedrohten Zivilbevölkerung. Sollten sie einen Journalisten in dir sehen, verdunkeln sich ihre Mienen, verhärten sich ihre Züge, sie haben nichts für reine Story-Jäger übrig, die hinter den menschlichen Tragödien und Abgründen her sind, emotionale Anteilnahme vorgaukelnd, während sie in Gedanken längst wieder in der Hotellobby sitzen, ihre Mails checken, frische Auftragsangebote prüfen, sich mit den Kollegen über die Erfahrungen hier unterhalten. Das ist der grobe Eindruck, der bei den Syrern hinterlassen wurde. Daher reagieren sie entweder verschlossen und reserviert oder erzählen einem krude Storys, die ihrem verwirrten, traumatisierten Verstand entspringen. Sie sind die wirklich Betrogenen diese Kampfes um Freiheit, in dem sich Syrien befindet.

Viele erwähnen den Begriff der 'gekaperten Revolution', ein Zustand, für den sie verschiedene Fraktionen des blutigen Konflikts verantwortlich machen von ausländischen Kämpfern bis hin zu Radikal-Religiösen, manchmal handelt es sich bei beiden übrigens um ein und dieselbe Person oder Gruppe. Die Maschinerie der professionellen Kriegsberichtserstattung ist jedoch gleichermaßen verantwortlich für die ernüchterte Haltung. Und die Fixer sind, unfreiwillig oder auch nicht, zentraler Bestandteil jenes Geschäfts, das in den Augen vieler Kriegsopfer den letzten Rest Würde beseitigt. Die Würde ist übrigens zusammen mit der Freiheit eine der Hauptforderungen seit Beginn der Revolution. Was das Paradoxon äusserst treffend beschreibt: um die Freiheit von einem extrem gut bewaffneten Gegner zu erlangen, musst du selber an adäquate Waffen herankommen. Und da deine Unterstützer dir keine angemessenen Waffen liefern mit der Begründung, sie könnten 'in falschen Händen' enden, wirst du auf einmal sehr kreativ bei der Beschaffung von Geldmitteln, die in Waffen und Munition investiert werden. Selbst, wenn dabei die Würde geopfert wird. Lediglich in Momenten träumerischer Verherrlichung handelt der Held in selbstloser Gerechtigkeit für die Sache. In der gegenwärtigen Realität handelt jedoch derjenige mit dem dicksten Geldbeutel.

Doch es gibt auch eine andere Seite der Revolution, ein kleines Paralleluniversum zwischen den verhärteten Fronten, das versucht, die Menschlichkeit aufrecht zu erhalten. Aktivisten, die sich engagieren, die Volksbewegung zu unterstützen, gewaltlosen Widerstand aufrecht erhalten, in den Flüchtlingscamps als medizinische Assistenten arbeiten, zusammen mit ihren syrischen Freunden Projekte ins Leben rufen. Aus aller Herren Länder kommen sie, den ursprünglichen Funken des Arabischen Frühlings in sich tragend, die klare Forderung, über Tyrannei und Ungerechtigkeit zu obsiegen. Zierkarpfen in einem Piranhabecken. Mehr oder weniger toleriert, aber nicht ernstgenommen von den Mispielern auf dem Schlachtfeld, verbal attackiert von verschiedenen Seiten, vor allem den religiösen Fundamentalisten, die 'diese säkularen Freigeister' argwöhnisch beobachten bei ihrem Kampf gegen jedwede Form des Totalitarianismus, es könnte ja immerhin ihren eigenen betreffen. Es ist nicht einfach, höhere Ziele aufrecht zu erhalten in Zeiten blanken Überlebenskampfes. Vor allem, wenn sich deren Auswirkungen nicht unmittelbar in Form von Erstversorgung oder Geld zeigen.

So werden die Bemühungen, das Regime loszuwerden, weitergehen, jedoch mit unterschiedlichen Ambitionen auf Seiten der Aufständischen. Die Frage ist: wird es ein säkular orientiertes, tolerantes Syrien nach Assad sein? Oder wird es ein Aufguß der Despotie, in neuem Gewand? Ist es realistisch, das ausgerufene Utopia umzusetzen oder werden Kompromisse die künftigen Entwicklungen hin zu Frieden und Stabilität beherrschen?

Während derartige Überlegungen angestellt werden, sitzen die Machthaber in Damaskus, möglicherweise in Tartous, tief eingegraben in die von ihnen gehaltenen Gebiete, in einer obszönen Leichtigkeit des Seins entspannend. Genau wissend, dass der Stillstand an den Frontlinien und an den politischen Verhandlungstischen sich für anstatt gegen sie auswirkt. Leider.

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