Ihr werdet euch als erstes fragen, was ich gesehen habe. Es liegt mittlerweile in eurer Natur, alles primär nach dem Gesehenen zu beurteilen. Ihr lebt zusammen mit mir in einer Welt, in der zu jeder Zeit, überall die Kamera griffbereit, aufnahmebereit zur persönlichen Verfügung steht. Ihr habt die unzähligen hochgeladenen Bilder und Videos, auf die ihr zurückgreifen könnt, ein Archiv an Dokumenten, die einen ein ganzes Leben mit der Auswertung beschäftigen würden und doch nicht in der Lage wären, ein Gesamtbild des bewaffneten Konflikts, des Krieges zu ergeben.
Dunkelheit. Die meiste Zeit der Nacht herrschte Dunkelheit, wenn der Strom wieder einmal abgeschaltet wurde. Es gab keinen Rhythmus, in dem die Elektrizitätsversorgung gekappt wurde, blanke Willkür, wie man sie auch in anderen Bereichen vom Regime kennt. Auf einmal war es einfach nur dunkel, die Augen brauchten, bis sie sich an die spärlichen Lichtverhältnisse gewöhnt hatten, Konturen sichtbar wurden. Kerzen wurden angezündet, eine Taschenlampe kreuzte einen LED-Strahler. Wenn man sich in einer fremden Wohnung befindet, wird in dieser Situation selbst der Gang zum Bad eine Grenzerfahrung. Dem Wohnraum, der noch einigermassen Wärme bot, folgte ein eiskalter, stockdunkler Gang. Irgendwo rechts um die Ecke. Einem Einbrecher gleich lässt man den Lichtkegel umhergleiten, bis man sein Ziel sicher erreicht hat. Begleitet wird man auf seinem Weg von den dumpfen Einschlägen der Artilleriegranaten, einem Geräusch, das man nur schwer beschreiben kann und das sich vom ersten Hören an in das akkustische Gedächtnis nahezu einbrennt. Ein Einschlag, ein zweiter, zumindest weiter von uns entfernt. Solange das Gebäude, in dem man sich aufhält, nicht zu zittern beginnt, ist alles gut.
Dunkelheit, die mehr verrät als erwartet. Während der Strom läuft, sitzen alle schweigend vor ihren Rechnern, checken ihre Mails und Messages. Solange der Strom läuft, ist man online, vernetzt mit allen anderen, informiert sich, informiert die anderen, lädt Bilder und soweit es geht Videos hoch. Für klassische soziale Interaktionen wie etwa eine Konversation ist währenddessen keine Zeit. Erst, nachdem der Wohnraum wieder in jene Dunkelheit per Stromsperre verwandelt wurde, beginnt man sich zu unterhalten. Hauptsache nicht soweit zur Ruhe kommen, dass der innere Reflektionsprozess beginnt. Man sieht es ihren Augen, ihren Mienen an. Der bewaffnete Konflikt, der Krieg, hat ihnen Stärke geraubt. Er hat sie vor die einfache wie auch grausame Wahl gestellt: bleiben und zur Waffe greifen oder die Stadt, das Land zu verlassen. Sie entschieden sich für ersteres, ein paar von ihnen haben ihren Verletzungen zufolge bereits einen hohen Preis dafür zahlen müssen. Sie stehen zwischen allen Fronten. Das Regime verfolgt sie als fremdgesteuerte Terroristen. Die konservativen Traditionalisten sehen in ihnen aufrührerische Idealisten. Und für Extremisten unter dem Deckmantel des Islam sind sie auf keinen Fall erwünschte Personen in einem künftigen Kalifat. Und doch geben sie nicht auf, für ein Syrien nach Bashar zu kämpfen, egal, wie es aussehen mag, darüber kann man sich noch genug streiten, nachdem das Hauptziel einmal erreicht ist.
Dunkelheit. Jener ambivalent wirkende Zustand aus Geborgenheit und Bedrohung, den du auf einem Spaziergang durch das nächtliche nördliche Aleppo tief in dir empfindest. Keine Strassenlampen, die leuchten und dir die Orientierung erleichtern. Keine Lichterzeilen an den Häuserfronten, die dir ein Gefühl für Raum und Tiefe vermitteln würden. Keine grell beleuchteten Geschäfte entlang den Strassen. Vereinzelt sieht man Gaslampen glühen, nicht mal eine Handvoll erhellter Fenster, am Horizont brennt ein Haufen Müll, um den sich bewaffnete Nachtwachen in Zivilkleidung scharen. Während wir draussen unterwegs sind, schlagen sehr entfernt vereinzelte Granaten ein. Wir haben Glück in dieser Nacht, es bleibt bis zum Morgen verhältnismässig ruhig. Und doch bleiben da die haftenden Erinnerungen an jene dumpfen Schläge einschlagender Granaten inmitten der Dunkelheit ..
First you might ask yourselves what I had seen. It's in the meantime part of your nature to assess everything primarily after seeing the images. Together with me you live in a world where at every time the camera is within reach, ready to record, simply personally easy available. You have all the countless videos and images uploaded you might revert to just in case, an archive of documents it takes a whole life to examine each one of it but nevertheless being not able to uncover a complete picture of the armed conflict, the war.
Darkness. Most time of the night darkness ruled when the electricity power was cut anew. There was no rhythm in those power cuts, pure randomness like many of the occurences related to the regime.From one moment to another it became completely dark, the eyes needed to get accustomed to the scanty light conditions, silhouettes became visible. Candles got lighted, a pocket lamp crossed a LED pen. If you stay at an unknown appartment in this situation even the walk to the bath room mutates to a challenge. After the living room which stores the remnants of the heating warmth an ice-cold pitch-black corridor expects you. Somewhere right at the corner. Like a burglar you wander with the light cone from corner to corner, up, right, down, left, until you reach the bath, the kitchen, one of the rest rooms, whatever. Accompanied by close impacts of artillery grenades shelling randomly around, a sound not easy to describe but branding itself into your accoustic memory. One impact, another one, at least far from our place. As long as the building is not shivering, everything is fine.
Darkness revealing more than expected. During the periods the electricity is on everybody is sitting in silence in front of her or his laptop checking mails and messages. As long as the power runs you are online, connected with the world, informing yourself, keeping the others updated, uploading images and as far as possible video footages. There is no time for classical social interactions like a conversation. First after the darkness returns in form of an abrupt power cut the people begin to talk to each other. Essential for them not to get in the mood the inner process of reflection normally starts. You can see it in their eyes, in their looks. The armed conflict, the war has taken their original strength. It has confronted them with a choice to make as simple as cruel: to stay and to become armed or to leave the city, the country. They decided for the first one and some of them have paid a high price for that due to their recent injuries. They are standing in-between all fronts. The regime hunts them as foreign manipulated terrorists. The conservative traditionalists see in them idealistic insurgents. And in the eyes of extremists acting in the name of Islam they are personae non gratae in a future caliphate. But they don't surrender, they refuse to give up to fight for a Syria after Bashar, doesn't matter how it might look, there is plenty time to discuss that after the main goal is finished.
Darkness. That ambivalent state of security and threat you are feeling deep inside during a nocturnal walk through Northern Aleppo. No street lamps illuminated assisting your orientation. No row of lights across the buildings' façades brokering you a feeling for space and depth. No glaring stores along the streets. Gas lamps are glowing sporadically, not even a handful of enlightened windows, on the horizon a garbage heap is burning, surrounded by armed night guards in civilian clothing. While we are walking outside around, some shellings can be heard almost far from us. We got luck this night, up to the morning hours it stays relatively calm. However, the adhesive mementos stay, those close impacts inmidst the darkness ..
No comments:
Post a Comment