Tuesday, February 5, 2013

Francesca Borri: Aleppo (3)

Der folgende Text ist eine Übersetzung aus dem Englischen. Die Autorin Francesca Borri (@francescaborri) beschreibt ihre Eindrücke, die sie in Syriens nördlicher Metropole gesammelt und mir zur Verwendung zur Verfügung gestellt hat. Ihr gilt mein Dank.

Grateful credits to Francesca for providing me her English text to translate and publish it in German. Grazie tanto.

Glücklicherweise ist Abdul Khader al-Saleh ein vielbeschäftigter Mann und um Journalisten zu treffen, hat er genau zehn Minuten. Er ist der Rebellenkommandeur im Distrikt Aleppo, und um Assad zu zeigen, dass er keine Angst hat, arrangiert er Interviews an der Frontlinie, lediglich im T-Shirt bei einem Glas Tee. Ich würde sagen, die Situation ist ausgezeichnet, beginnt er. Ein Kanonenschuss schlägt in der Nähe ein. Noch Zwei Monate, versichert er uns, und Aleppo wird frei sein. Noch ein Kanonenschuss. Eine Mörsergranate. Ein Gebäude am Ende der Strasse, das bereits zum Teil in sich zusammen gefallen ist, kommt vollends zum Einsturz. „Vielleicht auch drei.“ Der Staub bedeckt uns alle. „Möchten Sie Kekse?“

Es ist mittlerweile zwanzig Tage her, dass seine Männer die finale Offensive gestartet haben, um Aleppo zu gewinnen, nach der finalen Offensive im August, und der einzige Unterschied ist, dass die Frontlinien heute regelrechte Frontareale sind, Kämpfe brechen überall aus. Die Stadt, oder besser gesagt das, was von ihr übrig ist, ist ein Netz von Heckenschützen, das unter Artilleriedauerfeuer liegt. Bis zum Vorabend hatten die Rebellen behauptet, keine Munition mehr zu haben. Es hat daher den Anschein, dass sie sich entschlossen haben, alles zu riskieren und anzugreifen. Auf eine Massendesertation hoffend, die Gerüchten zufolge mit einigen Regimeoffizieren abgesprochen war. Wie auch immer, seit zwanzig Tagen bewegt sich keiner auch nur ein Stück vorwärts. Es ist nichts anderes als ein neues Gleichgewicht der Kräfte, auf einem höheren Level der Gewalt. „Doch bitte schreib nicht, dass keiner derzeit vorankommt,“ ermahnt mich ein Doktor am Shifa-Hospital, blutigüberströmte Bruckstücke in den Händen haltend. „Die Todesrate steigt weiter an.“ Unklugerweise biete ich mich an, die Bruchstücke wegzuwerfen. Es sind Stücke eines Schädels.

Das Fragment der Frontlinie, in das ich eingebettet bin, ist in der Altstadt, es ist eine Kreuzung, die von drei Übersetzern, fünf Fotografen, zwei Journalisten, einer Katze und vier Rebellen gehalten wird. Hinter der Ecke wartet ein Regimescharfschütze. Die vier Rebellen sitzen in etwas, das früher mal ein kleineres Geschäft gewesen sein muß, seit einer Stunde in eine Diskussion vertieft, wie man strategisch am besten Damaskus einnehmen kann. In der Zwischenzeit blickt eine Frau vorsichtig um sich, sie muß die andere Seite erreichen. Doch niemand kümmert sich um sie, und nach einer Weile resigniert sie und überquert die Kreuzung alleine - einen Vers aus dem Koran flüsternd. Selbst auf Wikipedia wird es mittlerweile empfohlen, man nennt es ,Feuer bedecken‘. Zwei Dollar pro Kugel, bissig blickt Fahdi zu mir rüber. „Bist du irre?“ Er wendet sich wieder der Erstürmung von Damaskus zu. Am Nachmittag springt Verstärkung in Person von Ayman Haj Jaeed, achtzehn Jahre alt, aus einem Jeep. Es ist sein zweiter Tag an der Frontlinie. Schreib auf, ruft er mir zu: Bashars Ende wird kommen. Und er rennt quer über die Strasse mit seiner Kalashnikov, so schnell wie möglich um sich schiessend. Schreib, schreib auf, ruft er mir von der anderen Seite aus zu, noch zwei Monate und Aleppo wird frei sein. Nur, er hat die gesamte Zeit in die linke Richtung gefeuert. Und der gegnerische Scharfschütze lag eigentlich auf der rechten Seite in Stellung.

Sie alle haben ungefähr dieselbe Hintergrundgeschichte, die Rebellen. Sie sind Schreiner, Ingenieure, Ladenbesitzer, Studenten, Protest für Protest, friedlich, bis ein Vater, ein Bruder getötet wurde, und sie schlossen sich der Freien Syrischen Armee an. Bezeichnet es nicht als Bürgerkrieg, wiederholen sie sich, wir sind nicht Syrer gegen Syrer, wir sind Syrer gegen Bashar. Und dann fragen sie dich: aber warum sieht die Welt bloss zu? Von Qatar und Saudi-Arabien erhalten sie Geld, jedoch keine Waffen. Das Veto dagegen kommt aus den Vereinigten Staaten, sie trauen jenen Rebellen nicht, denen es an Koordination und Ausrichtung mangelt, militärisch wie auch politisch. Denen es so gesehen an allem mangelt. Ihr Medienbeauftragter hier, Mohammed Noor, kann nicht mal grob schätzen, wie viele sie sind - und auf der anderen Seite kommuniziert General Riad al-Assad, der erst vor ein paar Tagen von der Türkei nach Syrien zurückgekehrt ist, mit seinen Feldkommandeuren via Skype.

Doch vor allem hat die Freie Syrische Armee keine breite Unterstützung, weil zwischen 800 und 2.000 Kämpfer, gute fünf Prozent der Gesamtstärke, Einschätzungen des Swedish Institute for International Affairs zufolge mit dem islamischen Fundamentalismus vernetzt sind. Und in der Tat begann der Kampf hier, begann mit zwei Autobomben, am zehnten Februar, eine al-Qaeda-Gruppe übernahm die Verantwortung dafür. Und die offen geforderte Errichtung eines islamischen Staates ist das Ziel einer der aktivsten Brigaden von Aleppo, der Ahrar al-Sham, den Freien der Levante. Es ist auch eine Brigade, die man unschwer erkennt; um ihre Stirn windet sich ein schwarzes Band. „Es gibt keinen Gott ausser Gott und Mohammed ist sein Prophet.“ Rund um Soukkari, des Viertels, das sie kontrollieren, kommt es öfter vor, dass man einen Regimeloyalisten durch die Strassen geschleift sieht, am Kopf gepackt, blutüberströmt, auf seinem Körper, kein Zweifel, Spuren von Schlägen und Folter. Doch Syrien wird eine Demokratie, versichert mit Mustafa. Es hagelt auf einmal Granatenfeuer, plötzlich - „Wir werden jeden respektieren.“ Ein zweiter, ein dritter Einschlag, wir sind unter Angriff. Ich schlüpfe durch die erste Tür, die ich sehe. Drinnen befinden sich nur Männer, und unter meinem Helm trage ich kein Kopftuch. „Es wird ein Syrien der Freien und der Gleichen.“ Jetzt lassen sie mich allerdings draussen.

Sie sind Libyer, Tschetschenen, Saudis, Afghanen. Jedoch sind sie nicht die einzigen Ausländer in der Freien Syrischen Armee. Da die Bevölkerung von Aleppo genauso die Rebellen betrachtet, als wenn sie Ausländer wären. Aleppo ist die ökonomische Kapitale, das Mailand Syriens. Eine reiche Stadt, bevölkert von einer gemischten Mittelschicht, Christen, Armenier, Sunnis und Shias, ohne Unterschied - eine Stadt, fokussiert auf Geld und Geschäfte. Spärlich eher die Unterstützung der Proteste, der Krieg wurde von aussen hereingetragen - als die Türkei die Grenzen öffnete und Aleppo zum ersten Anlaufziel für die Rebellen wurde. Die Freie Syrische Armee hier ist nicht die gleiche wie in Homs oder in Hama; der Typ Familienvater, der sein Heim verteidigt. Es sind Syrer vom Land, arm und traditionalistisch, die die Einwohner von Aleppo beschuldigen, gleichgültig, zynisch, opportunistisch zu sein. Und sie werden ihrerseits von den Einwohnern beschuldigt, die Stadt in der Zwischenzeit bis auf die Grundmauern zerstört zu haben, ohne einen Plan für ein künftiges Syrien - ausser dem Gesetz der Sharia, in einem Land, in dem die Sunnis lediglich 63% der Gesamtbevölkerung ausmachen. Vergangene Woche landeten drei von ihnen im Shifa-Hospital, nicht von Kugeln, sondern von Glasflaschen getroffen.

Sie hat keine Waffen zur Luftabwehr, die Freie Syrische Armee. General Riad al-Assad beschwichtigt uns jedoch auf AlJazeera, Ruhe zu bewahren; für die nächsten Tage meldet die Wettervorhersage Nebel und Regen.

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