Thursday, April 11, 2013

Syrien: Timeo Danaos ..

Mit dem Eingreifen radikal-religiöser Gruppierungen ins bewaffnete Geschehen wurde eine Wende in der syrischen Revolution eingeleitet, die die Täter-Opfer-Verhältnisse in eine noch bedrohlichere Relation die künftige Entwicklung betreffend verändert. Was bis zu diesem Zeitpunkt als Volksaufstand gegen ein repressives Regime im Zeichen des gewaltlosen Widerstands geführt wurde, ist längst zu einem Grabenkrieg extremistischer Kräfte geworden.

Die Grenzen zwischen Gut und Böse sind nicht nur auf den zweiten Blick verschwommen. Auf der einen Seite haben wir eine rücksichtslose Clique rund um einen Despoten, der mit allen Mitteln seinen inzwischen schon längst illegitimen Machtanspruch sichern will. Auf der anderen Seite haben wir die Unterwanderung der revolutionären Bewegung durch selbsternannte Gotteskrieger, die ihrerseits immer offener nach der Errichtung eines Terrorregimes ihren Ansprüchen nach streben. Zwischen diesen offensichtlich unheiligen Strömungen versucht eine durch exzessive Gewalt gepeinigte Bevölkerung irgendwie zu überleben. Garant für ihre Sicherheit, so denn man überhaupt davon sprechen kann, sind die lose organisierten Verbände der Freien Syrischen Armee, die ihrerseits immer mehr ins Kreuzfeuer der globalen Kritik gerät, da sie es bis heute nicht verstanden hat, sich als vertrauenswürdige Einheit zu konsolidieren und auf klare Distanz zu den religiös motivierten Terroristen zu gehen.

Dieselbe Kritik mag man an der alawitischen Gemeinde, den syrischen Christen sowie den Drusen üben, die sich aus Furcht vor einem entfesselten sunnitischen Mob hinter dem Regime versammeln. Wenn es denn eine Zukunft für das bereits in Trümmer geschossene und zerbombte Land geben mag, dann ist ein Aufeinanderzugehen aller kriegsmüden Konfessionen und Ethnien, um ein Zeichen gegen den drohenden Zerfall und ein wohl Jahrzehnte anwährendes Schlachtfeld auf levantinischem Boden zu setzen. Dazu müssten sich moderate Sunniten, die einen Zivilstaat anstreben, mit moderaten Alawiten, die ihrerseits eine reformierte Ausrichtung der Baath-Politik erarbeiten, auf ein gemeinsames Vorgehen gegen Clanherrschaftswillkür einerseits und fundamentalistisches Gottesstaatssektierertum andererseits einigen.

Ein Prozess, der schwierig anmutet, doch keineswegs unrealisierbar ist. Die Zeit drängt allerdings. Auf der Seite der Revolutionäre ist es am Generalstab der Freien Syrischen Armee sowie der Moslembruderschaft, so schnell als möglich auf Distanz zu Jabhat al-Nusra und anderen Terrorgruppierungen zu gehen und diesen Worten auch Taten folgen zu lassen. Dazu müssen endlich die gemässigten Fraktionen in beiden Organisationen von ihrem Stimmrecht Gebrauch machen, um vor allem die konservativen Flügel auf ihre Seite zu bekommen, denen das Stigma anhaftet, anfällig für radikal-totalitäre Splittergruppen zu sein beziehungsweise diese durch allzu passives Verhalten indirekt gewähren zu lassen.

Gleichzeitig muß sich die von geschürten Ängsten traumatisierte Gemeinschaft der Alawiten vom Terror des Assad-Verbandes lossagen und ihrerseits ein tragfähiges Konzept eines reformorientierten politischen Kurses präsentieren, der sich von der Despotenfamilie und den dazugehörigen Vasallen lossagt, ohne den Baathismus inklusive seiner positiven Errungenschaften vor allem in Sachen Minderheitenschutz komplett abzuschütteln.

Was wie die Quadratur des Kreises klingt, ist eine von Tag zu Tag hauchdünner werdende Chance, den Kriegstreibern auf beiden Seiten das Wasser abzugraben, bevor ihre verbrecherischen Handlungen endgültig zur Normalität einer Tagesordnung auf Generationen hinaus zu mutieren drohen. Leidtragende dieser fatalen Entwicklung wäre nämlich nicht nur die Zivilbevölkerung Syriens, deren Kinder in einem Umfeld von alltäglich gewordenen Grausamkeiten aufwachsen würden, es wären auch die Nachbarstaaten sowie die gesamte Region, die in einem ewigen Konfliktzustand zu verkommen droht. Wunderschön war diese Revolution bis zum Sommer vergangenen Jahres.

Was sich seitdem entwickelt hat, ist beileibe nicht mehr als wunderschön zu bezeichnen. Sondern als Übelkeit provozierender Albtraum. Und  der Fingerzeig auf das Assad-Regime als alles auslösenden Übeltäter sowie die Weltgemeinschaft, die ein ganzes Volk aus selbiger Sicht im Stich gelassen hat, ist mittlerweile nicht mehr als eine Schutzbehauptung, die die allgemeine Hilflosigkeit maximal dokumentiert, doch keine konstruktiven Lösungsansätze bietet, die Tragödie zu überwinden.

Wo viel Licht, ist auch Schatten.

Das Ganze jetzt noch mal frei Schnauze: Ihr könnt nicht einen Dämon bekämpfen, indem ihr einen anderen an eurer Seite gewähren lasst. Die, die da an eurer Seite mitstreiten, liebe syrische Mitmenschen, haben das Potential, noch weitaus übler ihre eigenen Interessen durchzusetzen als der Gurkenhals und seine Truppe.

Lest einfach mal Max Frisch‘s „Biedermann und die Brandstifter“. Genau, ihr seid nämlich selbst gerade die Biedermänner, die die Brandstifter gewähren lassen, natürlich, insgeheim froh, dass wenigstens einer euch im Versuch der Überwindung des Gurkenhalses tatkräftig unterstützt. Doch warum er das, der Nusra-Brandstifter? Das müsst ihr euch fragen. Warum ihr das tut, ist offensichtlich. ihr wollt nicht mehr von Geistern gebeutelt werden. Und die Weltgemeinschaft täte gut dran, sich gleich mal erfrischend offensiv den schwarzen Peter für ihre Zaghaftigkeit in der Zeit vor al-Nusra & Co. anzuheften.

Jetzt, da die Fanatiker auf der Bildfläche erschienen sind, haben sie natürlich alle den Grund, den ihnen der Gurkenhals seit Anbeginn der Revolution um die Ohren gehauen hat. Peter und der Wolf. Bloß dass die Dorfbewohner nicht im denkbar ungünstigsten Moment die Kassandrarufe des Gurkenhals-Peters überhören, nein, auch wenn die Warnungen vorm Wolf sich zunehmend als Blasen entpuppten, sie begannen die drohende Gefahr des Wolfes nach und nach mit zu materialisieren. So ein Ärger aber auch.

Also: Finger weg von den Irren. Ab auf Distanz gehen. Vor allem denjenigen zeigen, deren Vorbehalte genau auf dem Kalifats-GAU gründen, dass ihr nicht konform geht mit diesem Extremistenpack und seinem dreisten Anspruch, Nutzniesser einer Revolution zu sein, die anfänglich unter dem friedvollen Motto der Wiedererlangung von Freiheit und Würde stand - und in den Herzen vieler von euch, das spüre ich, schlagen ebendiese Ursprünge im 7orriye-Karama-Takt wie am ersten Tag.

Wenn es euch gelingt, eine Brücke zu denen zu schlagen, die vor allem wegen dem praktizierten Schutz der Minoritäten in Syrien (dass einige von ihnen, und auch nur Teile jener Minoritäten das Ganze recht krass für ihre Zwecke ausgenutzt haben, ok, brauchen wir nicht drüber zu streiten) hinter einem pluralistisch-säkularen Prinzip stehen, indem ihr eure Gemeinsamkeiten herausarbeitet, naja, eine Gemeinsamkeit sieht ein Blinder mittlerweile vom anderen Ende der Erde, sowohl ihr als auch viele da drüben, hinter der gegnerischen Front, habt verständlicherweise keinen Bock mehr auf bewaffnete Kampfhandlungen. Genauer gesagt: ist jetzt mal eben schietegal, wer gerade exzessiv irgendwo rumballert.

Genau, separiert die Schiesswütigen, sind ja eh nur die einen, die geistesgestört ihre Ansprüche verteidigen und die anderen, die ebenso geistesgestört ihre Vorstellung einer gesellschaftspolitischen Neuordnung verankern wollen. Bevor es in den Annalen heisst: auf fünf Jahrzehnte Brachialdiktatur folgten weitere fünf Jahrzehnte, bloss unter einem anderen Namen ..

Es sind nicht alle, wie sie auf der Seite der jeweiligen Anderen zu sein scheinen.