Der
folgende Text ist eine Übersetzung aus dem Englischen. Die Autorin
Francesca Borri (@francescaborri) beschreibt ihre Eindrücke, die sie in
Syriens nördlicher Metropole gesammelt und mir zur Verwendung zur
Verfügung gestellt hat. Ihr gilt mein Dank.
Grateful credits to Francesca for providing me her English text to translate and publish it in German. Grazie tanto.
Ausser einer nicht näher beschriebenen Brigade der Witwen, von der man sagt, sie streife rund um Kafrouna unweit von Idlib umher, ist die einzige Frau, von der wir sagen können, dass wir sie kennen, Thwaiba Kanafani. Die Ingenieurin, 41 Jahre alt, zwei Kinder, landete in Aleppo aus Toronto, Kanada, kommend; perfektes Make Up und ein Hauch von Absatz, bereit, der Freien Syrischen Armee beizutreten. Niemand schöpft Argwohn bei einer Frau, erläutert sie in Dutzenden Interviews; und daher habe ich mich auf das Ausspionieren spezialisiert - ich arbeite inkognito, verkündete sie auf Twitter. Ihr Porträt postend.
Im neuen Syrischen Nationalrat, der letzte Woche gewählt wurde, sitzen nur Männer. Doch es ist nicht wahr, dass Frauen keine Rolle spielen, antwortet Mohammed Noor, Medienbeauftragter der Freien Syrischen Armee. Auch sie seien in hochrangigen Positionen, fährt er fort. Hier zum Beispiel - und er zeigt auf eine Dame mittleren Alters, die Lumpen und einen Eimer in den Händen hält: „Sie ist die Hauptverantwortliche der Putzeinheit.“
Mona und Ghofran sind Schwestern, 23 und 19 Jahre alt. Wir sind an der Frontlinie, Maschinengewehrfeuer hämmert auf ein Heckenschützennest auf der anderen Seite der Strasse ein, Sandsäcke, Pfützen voller Blut, ein brennendes Haus, eine Granate ist gerade explodiert; und diese zwei schwarzen Burqas, die aus der staubgefärbten Umgebung herausstechen wie ein rosa Elefant. Hast du gesehen? fragt mich Alaeeddin, der Übersetzer, mit freundlicher Miene; es ist nicht wahr, dass Frauen zuhause eingesperrt werden. Es ist zum ersten Mal nach zwei Monaten, dass Mona und Ghofran draussen unterwegs sind, das Geld ist ihnen ausgegangen und sie haben einen körperbehinderten Vater. In der Zwischenzeit sind drei Stühle gebracht worden zusammen mit drei Gläsern Tee - in der Mitte der Strasse, zwischen den umherfliegenden Kugeln. „Und dann schreibt ihr, dass wir die Frauen nicht respektieren,“ beschwert sich Alaeeddin. Und überreicht mir einen Keks. Mona und Ghofran haben keine Ahnung, was in Aleppo vor sich geht, sie haben keinen Strom. Sie wollen sich quer durch die Stadt durchschlagen und das Anwesen ihres Onkels erreichen, um sich etwas Geld auszuleihen. Wir haben nichts, tut mir leid, entschuldigt sich Alaeeddin - unsere 500 US$ Tagessatz in der Tasche stecken habend. „Du brauchst kein Interview, um zu verstehen,“ erzählt mir Mona. „Bashar ist ein Killer, ja, aber sieh dich einfach nur um.“ Fürwahr, die Altstadt liegt in Trümmern, Gerippe aus verkohlten Wänden. Und in einigen Ecken Fliegenschwärme; menschliche Überreste. „Zu Beginn haben wir an Dutzenden Protesten teilgenommen. Seit die Männer den Widerstand in einen bewaffneten umgewandelt haben, sind die Frauen von der Revolution ausgeschlossen. Natürlich haben wir unsere Rolle im Krieg; die Rolle der Getöteten.“
Osman al-Haj Osman, ein Chirurg am Shifa-Hospital, der einzigen Notaufnahme derzeit in Betrieb, ist ziemlich enttäuscht. „Ärztinnen und Krankenschwestern sind verschwunden. Sie haben Furcht. Und wir sind zu Dreifachschichten gezwungen.“ Fünf Ärzte sind sie hier, allesamt Männer. Von neunzehn medizinischen Assistenten sind neun Frauen. „Als die Revolution ausgebrochen ist, habe ich gerade meinen Abschluss gemacht,“ sagt Zahra, 24 Jahre alt. „Das hier ist mein Praktikumstraining.“ Von den hunderten Mörsergranaten, die das Shifa-Hospital regelmässig getroffen haben, wurde sie drei Mal verwundet. „Jeden Morgen sage ich mir, dass ich hier bin für die Freiheit meines Volkes. Doch ich bin mir sehr wohl bewusst, dass, selbst nachdem Bashar gefallen sein wird, die Freiheit eines Tages wieder etwas sein wird, für das ich kämpfe. Ich rettete meinen Vater vor Verstümmelung, er, der immer gegen meinen Wunsch zu Studieren war. Ich habe meine Ärmel hochgerollt, um seinen Arm nicht zu infizieren. Ich habe ihn zusammengenäht, alles um uns herum wurde von Explosionen durchgeschüttelt, ein toter Körper neben uns, und mein Vater hat nur gerufen: Binde es zusammen!“
Denn die Luft in Aleppo ist angefüllt mit Schiesspulver und Testosteron. „Sie behaupten, wir seien Feiglinge, wir seien viel zu emotional,“ fügt Bahia dazu. Sie ist auch 24 Jahre alt, sie ist ebenfalls drei Mal verwundet worden. Und sie ist ebenso immer noch hier. „Ich bin mir dennoch nicht sicher, ob Coolness immer ein Zeichen von Rationalität ist. An der Frontlinie mit Flip-Flops zu stehen und zu sagen, dass Gott einen beschützt .. hört sich für mich nicht unbedingt normal an. Der einzige Weg, hier seine Angst zu überwinden, ist, nicht nachzudenken. Was ebenfalls der beste Weg ist, diesen Krieg auf ewig am Leben zu erhalten. An wahre Tapferkeit kann man sich in Aleppo nicht gewöhnen. Ängstlich sein, nachdenken.“ In Raqqa andererseits haben sich Frauen als menschliche Schutzschilde angeboten. Gegen die Rebellen allerdings. Sie flehten sie an, die Stadt zu verschonen. Doch Kommandeur Riad al-Assad zeigte sich kompromisslos, ihr müsst befreit werden, erwiderte er.
Am Eingang wird gerade ein lebloser Körper aus einem Auto geladen. So landen sie hier, Passanten, die von Heckenschützen getötet wurden. Auf der Strasse geborgen und mit einem Wagen hierhergebracht, der mit Reifenquietschen wieder wegfährt - Das Shifa-Hospital steht unter Artilleriefeuer. Manchmal trifft ein Geschoss einen der Leichname. Und der getroffene Körper pulverisiert regelrecht. „Staub zu Staub,“ sagt Bahia. „ganz Aleppo ist mittlerweile das Grab des unbekannten Zivilisten.“
Nach zwanzig Monaten und nahezu 35.000 Opfern sowie 450.000 Flüchtlingen ist der Blick auf die Landkarte Syriens deprimierend. Die Freie Syrische Armee kontrolliert den Distrikt Idlib im Norden und ein paar andere Gebiete. Teile von Aleppo, Teile von der Strasse nach Damaskus. Teilgebiete, vollgestopft mit Heckenschützen; Stunde für Stunde werden sie von den Regimebomben abrasiert. „Und auf den Ruinen Syriens werden sie die Fahne des Fundamentalismus hissen,“ klagt Aisha an. Sie ist gläubig, trägt den Niqab. „Doch mein Islam ist nicht der ihre,“ hebt sie hervor. „Wo zur Hölle ist der Fundamentalismus, von dem ihr sprecht? Wir sind alle Ärzte hier, wir sind alle gleich,“ Osman stoppt sie. Sein Vater war ein berühmte hoher Verantwortlicher des Ikhwan. Die gesamte Familie war im Exil, er wuchs in Saudi-Arabien auf, er betrat syrischen Boden zum ersten Mal in seinem Leben vor drei Monaten. Und jeden Abend geht er über Nacht nach Azaz zurück, nahe der türkischen Grenze. Eine Kleinstadt, die inzwischen unter Kontrolle der Rebellen ist, genauer gesagt, unter der Kontrolle ihres Imams. Er ist das selbsternannte geistige und politische Oberhaupt von Azaz. „Es ist an euch, sich zu beteiligen, euren Raum zu gewinnen. Es steht euch frei, alles zu tun. Selbst Operationen durchzuführen.“ Sogar zu herrschen, fragt Aisha nach. „Sogar zu herrschen.“ Und sogar zu kämpfen? „Sogar zu kämpfen, sicher.“ - und alle rundherum beginnen zu lachen.
Ein kreischendes Geräusch. Ein Auto spuckt einen schwarzen Sack auf den Asphalt und verschwindet mit quietschenden Reifen. Das Weisse der Augen inmitten einer Burqa, die Pupillen nach hinten gedreht. Es ist Monas Körper.
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