Um den syrischen Machthaber so weit als möglich in seinen Handlungen und Gedankengängen begreifen zu wollen, muß man sich weit vor die Anfänge des Aufstands zurückbegeben. Bashar al-Assad repräsentierte bis zu diesem Zeitpunkt ein zwischen den Blöcken der geostrategischen Politik einzementiertes Regime, dessen Festungsmauern vor allem aufgrund der Aufbauarbeit seines Vaters Hafez bereits aus der Ferne als unüberwindbar wahrgenommen wurden. Dass in dem guten halben Jahrhundert der Baathistenherrschaft Syrer willkürlich verschleppt, interniert, misshandelt und umgebracht wurden, weil sie entweder nicht ins rigoros-ideologische Bild passten oder zur Abschreckung einer latent als aufmüpfig empfundenen Zivilbevölkerung dienten, änderte lange nichts an der Wahrnehmung der restlichen Welt bezüglich der kontinuierlichen Menschenrechtsverletzungen. Die syrischen Zivilisten wurden in ihrem Leid einfach nicht wahrgenommen.
Während Hafez al-Assad als Systemerrichter galt, dessen egomanisch zielorientiertes Selbstbewusstsein eine Aura der als Selbstverständlichkeit empfundenen Härte gebar, rutschte Bashar vor zwölf Jahren eher unfreiwillig auf dem präsidialen Thron nach. Der Unfalltod seines älteren Bruders machte aus dem Augenarzt und Wahl-Londoner, der sich bis dahin ganz im Stil eines Sohnes aus einflussreichem Haus auf dem Parkett der gesellschaftlich Anerkannten bewegte, nun den Erben eines perfide vernetzten Machtwerks. Seine hehren Pläne, als moderner Reformer mit Hang zum Digitalen auftrumpfen zu können, versickerten schnell im Tagesgeschäft eines delegierenden repressiven Oberhaupts, dessen Hauptaufgabe der Aufrechterhaltung des Machtapparates diente.
Mit dem Arabischen Erwachen, dessen ursprünglicher Funke im Frühling 2011 durch die Länder des Mittleren Ostens und Nordafrikas flog, verspürten auch die Syrer ihre erstmalige Chance, als Volk gegen die diktatorische Präsidialherrschaft aufzubegehren. Kleine, zögerliche Proteste waren es, die vom Süden her das Land überzogen, oft nur eine Handvoll wagemutiger Aktiver, die um die Blöcke liefen und den mittlerweile in die Geschichtsbücher eingegangenen Slogan ,Das Volk will den Sturz des Regimes‘ skandierten. Mit jedem immer grösser werdendem Protestmarsch, der ohne massive Verhaftungen oder Blutvergiessen endete, wuchs der Mut der Zivilbevölkerung, dem Despoten die Stirn zu bieten. Die Sicherheitskräfte waren jedoch nicht lange um eine abschreckende Antwort verlegen. Schon bald wurden erste Zeitdokumente hochgeladen, die belegen konnten, dass bewaffnete regimeloyale Einheiten ohne zu Zögern das Feuer auf gewaltlose Widerständler eröffneten.
Was damals noch als Niederschlagung im tragischen Sinne der üblichen Massnahmen in der benachbarten Region empfunden wurde - zu erinnern sei an die Auswirkungen der Staatsgewalt im Jemen oder in Bahrain -, mutierte in den vergangenen anderthalb Jahren zu einer Stellschraube der eskalierenden Unterdrückung. Die Marschrichtung war dabei von vorn herein klar: um die Aufrechterhaltung des diktatorischen Systems zu gewährleisten, wurden von Monat zu Monat mehr Opfer im selbsternannten Kampf gegen Terrorismus und Fremdeinwirkung einkalkuliert. Ganz nach der Gangart des Vaters, der beinahe gänzlich unbemerkt von der Weltöffentlichkeit im Jahre 1982 an den Aufständischen in Hama ein erschreckendes Exempel der Macht statuierte, dirigierte Bashar den ihm übertragenen Hegemonialanspruch zur Sicherung der eigenen Existenz auf Kosten der eigenen Bevölkerung.
Gnadenloses Selbstverständnis bis zum Äussersten
Wäre Syrien keine Nation, sondern ein Familienunternehmen, so könnte man Bashar al-Assad durchaus als Juniorchef betrachten, der den letzten Willen des Firmengründers mit eiserner Faust durchsetzt. Nicht unbedingt so brachial, wie es der dahingeschiedene Patriarch ab und an zu tun pflegte, sondern leise, moderat wirken wollend, nicht zu auffällig, in jeder Hinsicht dem modernen Typus Führungskraft angepasst. Sein Äusseres verrät dem Betrachter nicht wirklich viel, akkurat geschnittene Anzüge sowie dem Stand und der Altersklasse angepasste Freizeitkleidung lassen Bashar al-Assad austauschbar erscheinen. Dazu kommt, dass er durch sein Auftreten die absolute Kontrolle über seine Emotionen ausstrahlt, gelegentliche Lacher wirken eher wie aus dem Dramaturgieskript entsprungen und nicht als Bestandteil seiner Natur. Ihn mit den schillernden autoritären Diktatoren wie Muammar Ghaddafi oder Jean-Bedel Bokassa zu vergleichen wäre aus zwei Hauptgründen falsch: zum einen mangelt es Bashar gänzlich an der egozentrischen Extrovertiertheit jener Ex-Machthaber, zum anderen repräsentiert er die zweite Generation einer Erbdiktatur und ist daher nicht dem Gründerzirkel der Potentaten zuzurechnen.
Das dynastische Element des Assad-Regimes spielt eine weitere tragende Rolle bei der Beurteilung des an den Tag gelegten Verhaltens. Über einem raffiniert ausgeklügeltem Webwerk von Armee und paramilitärischen Sicherheitskräften, den ,Geistern‘, von Geheimdiensten und Informanten schwebt der Clan der Assads. Man kann es von aussen betrachtet als verstörendes Zerrbild einer Gutsherrenfamilie wahrnehmen: Mutter Anisa, geborene Makhlouf und ehemalige Hausangestellte, bevor sie Hafez al-Assad ehelichte; die Söhne Bashar und der jüngere Maher, letzterer vor allem bekannt durch sein aufbrausendes Temperament und seine emotionale Immunität barbarischen Grausamkeiten gegenüber; Tochter Bushra, die laut letztem Stand der Dinge ihren Aufenthaltsort aufgrund innerfamiliärem Disput ausserhalb Syriens verlegte .. ohne auf die weiteren Akteure innerhalb der präsidialen Festung einzugehen zeichnet sich hier sehr deutlich ein Aufbau ab, der frappant an die Seifenopern des US-Fernsehens der achtziger Jahre erinnert - Dallas und Denver. Mit dem bewusst hervorgehobenen Unterschied, dass es in den fiktiven Serien um Öl als Faktor der Machterhaltung ging und nicht um die Dezimierung des eigenen Volkes.
Soviel man auch immer in die Persönlichkeitsstruktur Bashar al-Assads hineininterpretieren mag, so fest steht die unumwundene Tatsache, dass ihm die Ausblendung der individuellen Existenz eines Grossteils der syrischen Bevölkerung praktisch in die Wiege gelegt wurde. Seine Handlungen beruhen ausschliesslich auf dem unerschütterlichen Herrschaftsanspruch seines Vaters, der weit über dessen Tod hinaus gelten sollte. Flankiert vom iranischen Regime und der Hisbollah im Libanon vollstreckt Bashar, wie es regimeintern von ihm erwartet wird, das Lex Hafez, das um jedweden Preis an der Macht bleiben.
Und so ist es auch nicht verwunderlich, dass die internationale Gemeinschaft, sei es nun die Arabische Liga oder die Vereinten Nationen, in Sachen Kompromissfähigkeit des Regimeverantwortlichen bis heute auf Granit beissen. Sämtliche Argumente, Einsicht zu zeigen und sich aus seiner starren Position heraus zu bewegen, und sei es nur in einem wenige Grad grossen Winkel, perlen an dem Machthaber ab wie Wassertropfen an einem Neoprenanzug. Da mögen sich Vermittler und Sonderbeauftragte noch so abmühen, ihre Vorschläge und Appelle verhallen, noch bevor sie in den Empfangssälen der präsidialen Festung zu vernehmen sind, überhört, nicht zur Kenntnis genommen, unberücksichtigt. Es grenzt bereits an gefährliche Naivität, weiter an ein Entgegenkommen des Diktatoren zu glauben. Gefährlich, da die Stellschraube der Gewalt gegen das eigene Volk kontinuierlich angezogen wird, wie es allein die Opferzahlen der vergangenen Monate belegen.
Kaschieren der eigentlichen Anfälligkeit
Dies ist jedoch kein Eingeständnis der Kapitulation vor den machterhaltenden Massnahmen des Regimes. Das syrische Volk hat seinerseits die Fähigkeit zur Ausdauer bewiesen, die nötig ist, um dem ungeliebten totalitären System beizukommen. Der Einfluss der regimetreuen Kräfte innerhalb des Landes ist drastisch gesunken, die Armee konzentriert ihre Einheiten auf strategische Ziele wie Damaskus, Aleppo und die Küstenregion, während Hochburgen des Widerstands wie etwa Homs durch permanente Attacken mit schwerem Kriegsgerät und die Kappung von Versorgungswegen aus Sicht der Machthaber gedemütigt werden. Und dennoch verharrt der Herrscherclan in der selbst zurechtgelegten Pose als scheinbare Opfer einer zügellosen Verschwörungsinfektion, die von aussen ins Innere eingedrungen ist und rechtfertigt allein damit die exzessiven Vergeltungsschläge gegen Unbeteiligte und Dritte, ohne dabei auf die blutigen Details einzugehen.
Wären da nicht die dramatisch ansteigenden Opferzahlen und Schicksale zu beklagen, die etwa Angriffe der regimeloyalen Luftwaffe auf Menschenschlangen vor Lebensmittelgeschäften in dicht besiedeltem Wohnraum verursachen, könnte die Taktik der abwartenden Beobachter unter den internationalen Machthabern durchaus aufgehen. Die Autoisolation, die der Regimeclan betreibt, offenbart gleichzeitig seine Schwachstelle: das familiäre Gefüge selbst. Ähnlich wie in den vorher bereits zitierten US-Seifenopern kann sich das intrigante Element mittelfristig zu äussersten Ungunsten der Assads entwickeln. Dieser Prozess käme faktisch einer Selbstzerfleischung der Spitze gleich, die die Vertreter der globalen Gemeinschaft nur allzu gerne sehen würden, da es sie von jeglicher Intervention befreien würde.
Doch die kontinuierlich wachsende Anzahl an Zivilopfern spricht eine andere Sprache, eine, die die Repräsentanten nur spärlich verstehen können oder wollen, die jedoch immer mehr Menschen weltweit zu verstehen imstande sind. Und das kollektive Gedächtnis verfügt mithilfe der Technik des Internets über ein nicht zu unterschätzendes Erinnerungsvermögen. Aus Sicht der betroffenen syrischen Zivilbevölkerung der Identifikation jener dienlich, die im Auftrag des Regimes Verbrechen gegen die Menschheit begangen haben. Und aus Sicht der Welt ausserhalb Syriens als Option der Revision eigener strategischer Fehler und Irrtümer in bezug auf die Handhabung des syrischen Regimes dienlich.
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