An dieser Stelle ein genauerer Blick auf die Achillesferse der Revolution:
Wa7eda.
Einheit.
Ich nehme sie unverändert wahr beim Betrachten der Demonstrationen jener zutiefst Entschlossener im Land, deren Bilder nun tagtäglich hochgeladen werden, genauso in den diversen Gruppen, Vereinigungen und Komitees, die damit beschäftigt sind, für den nötigen Überbau zu sorgen. Doch vermisse ich derzeit den lauten selbstbewussten Aufschrei gegen das plötzlich in den westlichen Medien kolportierte Bild der Unorganisiertheit, ja der Zersplitterung der oppositionellen Kräfte. Das ist eine sehr ernstzunehmende Angelegenheit, da sie den Kern der Verwundbarkeit trifft. Man möge mich bitte jetzt nicht falsch interpretieren, das ist kein Vorwurf, der in denselben Chor der Zweifler einstimmt, sondern ein lauter Aufruf meinerseits, der daran appellieren soll, für die Einheit einzugestehen, indem man die Stimme erhebt und so dafür kämpft.
Ich bin nicht in der prekären Lage derer, die innerhalb Syriens ihr Leben für die Freiheit aufs Spiel setzen und jeden Moment einen mörderischen Präzisionsschlag der Regimekräfte oder ihre Verhaftung und damit schlimmstenfalls tödliche Folter zu befürchten haben. Ich bin nicht in der halbwegs sicheren Position der Exilsyrer, die sich in ihren Gastgeberländern, von denen einige zur zweiten Heimat wurden, organisieren und ihrerseits versuchen, Möglichkeiten der Unterstützung für ihre Landsleute zu finden, sei es durch die Investition von Zeit und Kreativität, durch Spendenaktionen oder dadurch, mehr nötige Aufmerksamkeit in der Welt für das Freiheitsstreben zu erlangen. Ich bin nicht einmal syrischer Abstammung (obwohl ich es in meinem Herzen geworden bin und demnächst so betrachtet auch ein Jahr alt werde).
Wen wa7eda?
Wo ist die Einheit?
Ich bin mir sicher, jeder trägt sie in sich wenn es um das eine gemeinsame Ziel geht, die Freiheit wiederzuerlangen. Auf den unteren Ebenen jedoch ist sie in jedem Fall durch die Priorisierung untergeordneter Interessen gefährdet. Noch einmal möchte ich in aller gebotenen Deutlichkeit darauf hinweisen, meine Worte nicht als Angriff, als Beleidigung oder gar als Bevormundung aufzufassen, sondern als gedankenprovozierende Gedanken, die auf ein Problem hinweisen sollen, das es zu lösen gilt, bevor es unlösbar wird. Besagte Interessen sind eine natürliche Begleiterscheinung, wenn es darum geht, verschiedene Gruppen salopp formuliert unter einen Hut zu bringen. Selbst in den Vorbilddemokratien streiten sich permanent die verschiedenen Interessensgruppen um die Vorherrschaft, allerdings unter dem Dach eines anfangs verabschiedeten Grundgesetzes, das es ausdrücklich verbietet, jedwede Form von Meinungsverschiedenheit mit Waffengewalt auszutragen. Und da derartige Interessen nunmal untergeordnet sind, sollten sie auch als solche behandelt werden, solange das Hauptziel, die Wiedererlangung der Freiheit, noch nicht erreicht ist.
Ich weiss nicht, warum die aktuelle Berichterstattung auf einmal den Focus auf eine ihrer Einschätzung nach ,zersplitterte Opposition‘ richtet. Ich kann nur Vermutungen anstellen: vielleicht, weil die selbst alles andere als einheitliche Weltgemeinschaft ihr eigenes Spiegelbild auf die Freiheitsbewegung projiziert. Vielleicht, weil sie sich von Assads sogenannten ,Gebietsgewinnen‘ - die in Wirklichkeit nichts anderes als mörderische Okkupationen sind - blenden lässt. Beide Erklärungen wären einem Dolchstoß in den Rücken der Revolutionsbewegung gleich, begangen von jenen, denen man vertraut und in die man die Hoffnung auf Unterstützung gesetzt hat. Oder vielleicht - was ich unter keinen Umständen annehmen oder gar glauben möchte - weil es tatsächlich jenen Mangel an Einheit derzeit gibt. Jeder Syrer, der nach Freiheit und einer Nation ohne Assad strebt, sollte sich daher die berechtigte Frage stellen, ob die revolutionäre Einheit stark genug ist, dieser Welle des Zweifels zu widerstehen - wir alle wissen wohl, wer der wahre Profiteur der Uneinigkeit unter den revolutionären Kräften ist und keiner von uns möchte, dass er und seine Vasallen den Sieg forttragen.
Min wa7ed?
Wer ist geeint?
Mehr als eine Grundsatzfrage für jeden, vom Einzelnen über die kleinen und grösseren Gruppierungen hin zur gesamten Bewegung. Ich für meinen Teil erwarte in nächster Zeit einen unüberhörbaren vielstimmigen Aufschrei, den die ganze Welt vernehmen wird:
Asha7b issouri wa7ed!
Das syrische Volk ist eins!
Und zwar im Kampf für Freiheit, Gerechtigkeit und Würde. Gerichtet an all jene Zweifler da draussen als einzig wahre Antwort.
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