Wednesday, March 7, 2012

Besetzt! (die Zwote)

„Denk‘ ich an Deutschland in der Nacht, so ward ich um den Schlaf gebracht.“

Im Gegensatz zu Heine, der in seinen ,Nachtgedanken‘ die Sehnsucht pries, allerdings eher aus Sorge, Unverständnis und Zorn. Viele in der Republik schütteln derzeit den Kopf über das Auftreten führender Politiker bis in die höchste Staatsspitze hinein. Ecken- und kantenlos, von den Beratern und der Parteilinie perfekt glattgeschliffen, perlen die Vorwürfe über die begangenen Verfehlungen an ihnen ab wie Wassertropfen auf einer Glasoberfläche im Windkanal. Leider wird bei diesem Verfahren der Repräsentantenveredelung auch der Charakter entgratet, was zu dem Anstieg an Fahrlässigkeiten, Unverschämtheiten, geradezu Dreistigkeiten geführt hat.

Wo ist der Volksvertreter mit robustem, ehrlichen Auftreten geblieben, der noch bis Ende der Achtziger das parlamentarische Bild dominierte? Der in der Lage war, im entscheidenden Moment resolut genug aufzutreten?

Die Debatten der damaligen Zeit waren allein schon aufgrund ihrer Leidenschaft, mit der sie geführt wurden, von um ein Vielfaches höherem Unterhaltungswert als das, was da heute geboten ist. Soll jetzt nicht generell heissen, dass früher alles besser war. Das, was sich da in den höheren Etagen der Entscheidungsträgerlandschaft etabliert hat, repräsentiert in immer geringerem Maße die Bevölkerung, obwohl es ja deren eigentlicher Auftrag ist. Nicht umsonst ist das gefühlte und artikulierte Verhältnis von diesen da unten zu jenen da oben 99:1.

Was allerdings bei näherer Betrachtung nicht so ganz hinhaut. Vor und hinter dem 1% steht quasi zum Schutz und aus Eigeninteresse je nach Nation zwischen 5% und 25% als Puffer zwischen diesen und jenen, die aus unterschiedlichsten Ursachen in unterschiedlichsten Formen der Minorität dienen und zuarbeiten. Dennoch sind mindestens drei von vier Einwohnern zumindest empört über und damit beschäftigt mit den real existierenden Missständen.

Was die Führungseliten allerdings herzhaft wenig schert, da es ja schon längst nicht mehr um das Allgemeinwohl geht, sondern um den impertinenten Akt der Bereicherung. Der allein schon dadurch vollzogen wird, dass man sich mit sturer Konsequenz der Verantwortung entzieht, selbst wenn eine durch Prestigegier forcierte Fehlentscheidung zu mehreren Toten geführt hat. In dem Fall bereichern sich die Delinquenten an gewonnener Zeit, nicht für ihre Taten belangt werden zu können.

Was genau so für die erschlichene Zeit zwischen den Urnengängen gilt. Wo ehemals siegreich angetreten wurde, um dem unterlegenen Kontrahenten, der sich mit der Rolle der Opposition abzugeben hatte, durch Entscheidungen den Schneid abzukaufen und sich die Wählergunst für die nächste Legislaturperiode zu sichern, steht heute die Nicht-Entscheidung im Vordergrund politisch-strategischer Vorgehensweisen. Als ob man den like-Button auf Facebook konsequent verweigert. Kommentieren ja, Handeln nein. Von Wehner bis Strauss würden alle heute nur noch ungläubig ihre Köpfe schütteln angesichts der unmarkanten Erscheinungen da draussen in der grossen weiten Welt des Regierens.

Tja, wo ist er denn nun geblieben, der sicher auftretende, selbstbewusste Wortführer?

Wie? Ach ja, ich vergass ja ganz, dass mit der Welle der platten Populisten das forsche Auftreten aus der Agenda der politischen Korrektheit gestrichen wurde. Natürlich. Und die, die wir heute forsch auftreten sehen, sind nicht unbedingt für ihre Selbstlosigkeit bekannt. Siehe Alexander Lukashenko in Weissrussland. Das Selbstlose ist es nämlich, was den meisten Entscheidungsträgern abhanden gekommen ist, nahtlos ersetzt durch den Trieb der Selbstbereicherung und das Selbstverständnis, damit nicht nur durchzukommen, sondern auch noch dafür mehr oder minder offen bewundert zu werden.

Willkommen in der Eingangshalle des Nepotismus. Jahrelang mit dem vorwurfsvollem Finger auf Berlusconi & Co. zeigen und selber der angeprangerten Geisteshaltung Tür und Tor zu öffnen.

Blöd nur, dass der Bürger beginnt, diese ganzen Zusammenhänge immer bewusster wahrzunehmen und auf das A(campa) und O(ccupy) der aktiven Neuzeit zu setzen, nämlich von der Empörung bis zum zivilen Ungehorsam sein Recht auf Ausdrucksfreiheit wahrzunehmen. Es ist noch ein weiter Weg bis zur erfolgreichen Entfilzung in den angesprochenen Etagen, doch der Weg dahin wird kontinuierlich geebnet.

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