Tuesday, April 3, 2012

Protestgesänge, Parolen, Bekundungen

"Es ist auch eine musikalische Revolution." Die Worte meines Freundes und Bruders Hammad schwirren durch mein Gedächtnis, wenn ich an den syrischen Widerstand denke. Der Geist der Gesänge, Slogans und Schlachtrufe verbreitet sich mittlerweile über die ganze Welt, wenn die syrische Gemeinschaft in den jeweiligen Ländern Solidaritätsdemonstrationen abhalten zu Ehren ihrer Brüder und Schwestern im Heimatland, die sich im Würgegriff der gottlosen Vertreter des Bösen, des Regimes, befinden.

Selbst Deutschland, normalerweise nicht gerade bekannt für empathische und emotionsgeladene Demonstrationen - ein Blick nach Frankreich, Italien oder Griechenland genügt, um zu verstehen, was ich meine - wird zum Austragungsort des neuen syrischen Selbstbewusstseins. Kein Demonstrationsmarsch, keine Kundgebung, keine Benefizveranstaltung ohne Gesänge und Choreographie. Mag auf den ersten Blick verwirrend für den durchschnittlichen Staatsbürger hier erscheinen, der Proteste im allgemeinen mit einer empörten Menge, die Transparente tragend von a nach b marschiert und eindringlich den Gastrednern lauscht, verbindet. (Beziehungsweise mediengesteuert einen aufgebrachten Mob bestehend aus Chaoten und Nichtstuern, die steinewerfend durch die Bürgerlichkeit marodieren, registriert.) Natürlich gibt es Bei Protesten für ein freies Syrien hier Banner und Gastredner, Herzstück jeder Veranstaltung sind jedoch die Gesänge.

Seit der Aufstand gegen das Assad-Regime vor über einem Jahr begonnen hat, ist die Anzahl der solidarischen Protestkundgebungen weltweit enorm angestiegen. Was anfangs mit einer Handvoll Menschen startete, erreicht mittlerweile in den grösseren Städten Dimensionen von mehreren tausend Teilnehmern. Doch die Grösse des Protests ist eigentlich zweitrangig anbetrachts der musikalischen und melodischen Beiträge, die als Würdigung der rebellierenden Syrer im Heimatland vorgetragen werden. Einlagen wie Flash Mobs oder Freeze Mobs folgten im Laufe des vergangenen Jahres, um damit die Einheimischen vor Ort anzusprechen und zu erreichen. Vor allem die nordamerikanischen Syrer sind mittlerweile bekannt für ihre Choreographien in Einkaufszentren und auf öffentlichen Plätzen.

Im Zeitraum von Mitte bis Ende März nahm ich an zwei Demonstrationen für die Wiedererlangung von Syriens Freiheit und Würde im Südosten und im Norden Deutschlands teil. Zwei vollkommen unterschiedliche Regionen in unserem Land, zwei verschiedenartige Großstädte, die eine oft als nördlichste Stadt Italiens bezeichnet, die andere aufgrund ihrer Lage nahe des offenen Meeres als Tor zur Welt bekannt. Könnte es doch glatt einen regionalen Unterschied geben, wenn man die Veranstaltungen gegenüber stellt, obwohl bei beiden die syrische Exilgemeinschaft demonstriert zusammen mit den Brüdern und Schwestern aus dem Mittleren Osten und Nordafrika sowie einigen Einheimischen, die ihre eigene Mauer der Angst, was die Teilnahme an einer Protestveranstaltung betrifft, überwunden haben?

Urteilt selbst:

München, 15.3.2012

Hamburg, 31.3.2012

Gemeinsames Ziel über allem ist es, die sich erhebenden Syrer daheim moralisch und mental zu stärken. Zur Erinnerung: im allgemeinen werden Demonstrationen hier in unseremn politisch stabilen Regionen bei den örtlichen Behörden zur Genehmigung beantragt. Versucht das mal in Syrien und und ihr erhalten im besten Falle als Bestätigung eurer Anfrage eine Kugel in den Kopf (Ausnahme wäre die Anmeldung einer Pro-Regime-Demonstration, die kein halbwegs vernünftiger Mensch je in Erwägung zöge, ausserdem inszeniert sich das Regime ja selbst). Andererseits muss man hier keine Angst haben, von einem auf den Häuserdächern postierten Scharfschützen niedergestreckt zu werden, wenn man mit  dem demonstrierenden Pulk um die Ecke biegt. Ich würde mich nicht wundern, wenn einer der Syrer auf einen deutschen Polizisten zugehen und ihm von Herzen dafür danken würde, dass dieser ihn nicht gleich erschossen hat.

Die Möglichkeit zu haben, unter zivilisierten Grundbedingungen zu demonstrieren, ist ein Vorzug. Daher ist es mehr als selbstverständlich, dass sämtliche Aktivitäten hier als Würdigung des Mutes, der Kreativität und der Willenstärke, die die Syrer in der Heimat in ihren Herzen und ihrer Seele tragen, zu verstehen sind. Keiner von uns, der jemals Zeuge oder gar Opfer eines ultra-autoritären Regimes wurde, kann überhaupt nachempfinden, was die Menschen dort durchmachen.

"Wir werden nicht schweigen oder zum Schweigen gebracht werden. Das Schweigen der Weltgemeinschaft ist beschämend genug. Wir werden unsere Stimmen bis zum letzten Atemzug erheben."

Unsere Gedanken und Gefühle sind mit den Märtyrern und ihren Familien. Unsere Gebete sind mit den Gefangenen und den Demonstranten.


Baba Amr, Idlib, Kafranbel, Al Khaldiyeh, Hama, Zabadani, Roknaldeen, Daraa, Sweida, Deir Ezzor, Hreetah, Lattakia, Midan, Al Sham, Jisr Ahgour, Rastan, Qamishlo, Bab Sbaa, Halab, Al Bayada, Darayya, Zamalka, Kafar Sousa, Raqqa, Binnish, Al Job, Al Qusor, Al Bokmal, Douma, ganz Syrien in unseren Herzen.

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