Wer sich mit der syrischen Gemeinde in Deutschland beschäftigt, wird bei einer Reise quer durch die Republik annähernd überall auf Angehörige des überaus liebenswerten und gastfreundlichen Volkes treffen. Nicht nur in den grossen Ballungszentren, in denen man sie am ehesten vermutet. Natürlich denkt man hauptsächlich an Berlin oder Frankfurt, doch alleine hier im Süden zähle ich neben München mittlerweile Syrer aus Augsburg, Nürnberg, Regensburg, Lindau, Konstanz und seit gestern auch Singen zu meinen Bekanntschaften, die ich, verbunden durch die Revolution in ihrer Heimat und den Wunsch nach Freiheit, in mein Herz geschlossen habe.
Als Gruppe Hutaaf Elhurriyyeh (Ruf nach Freiheit) brachen wir am Samstag vormittag bei frühlingshaften, fast schon frühsommerlichen Bedingungen Richtung Bodensee auf. Die wärmespendende Sonne liess die noch von weissen Schneefeldern bedeckten Berge südlich von Lindau aufblitzen, auf den Strassen waren zum ersten Mal viele Cabrios zu sehen, das sich ankündigende Ende des Winters erschien fast schon wie eine Allegorie auf die aktuellen politischen Verhältnisse, die uns seit nunmehr einem Jahr in Atem halten.
Bei der Informations- und Spendenveranstaltung waren ebenfalls in der Schweiz ansässige Syrer zugegen, die am heutigen Sonntag ihren Event zu Ehren der Jahrestage der Revolution in Zürich abhalten. Nach der Präsentation eines ARTE-Beitrags, in dem syrische Aktivisten vor Ort zu Worte kamen und ihre persönlichen Eindrücke zur Begleitung ausgewählter Youtube-Videos vermittelten, wurde eine Skype-Schaltung in die Vereinigten Staaten errichtet, um ein ausführliches Gespräch mit einem der führenden Aktivisten im Exil, Mohammed al-Abdallah, zu führen. Detailliert erklärte er den Zuhörern die Komplexität der Geschehnisse und der aktuellen Umstände, die immer deutlicher auf einen absehbaren Niedergang des Assad-Regimes hinweisen. Auch wenn die internationale Politik mehr ohnmächtig denn aktiv dem Ganzen gegenüberstehen mag, der Funke, der damals über die als unüberwindbar empfundenen Mauern rund um Syrien flog, glüht heute stärker denn je, ohne jenen vom Regime proklamierten Flächenbrand von ethnischen und religiösen Spannungen oder allgemeinem Chaos entzündet zu haben. Natürlich ist die Lage in vielen Teilen des Landes aufgrund der von den Regimekräften verursachten mehr als unverhältnismässigen Gewalt gegen die Zivilbevölkerung durchaus prekär, doch der Wille, das faschistoide Herrschaftssystem des Assad-Clans und seiner Anhängerschaft zu beenden, ist bis zum heutigen Tag ungebrochen. Täglich erfahren wir von neuen Desertationen, die den Machtapparat kontinuierlich aushöhlen.
Daher bilden Spendengalas und Charitysammlungen eine wichtige Komponente zur solidarischen Unterstützung derer, die keinem geregelten Lebensablauf mehr nachgehen können oder in einem der in den Grenzländern liegenden Flüchtlingscamps Schutz suchen mussten. Auch auf dieser Veranstaltung wurde Geld gesammelt, das direkt zu denen geht, die bedürftig sind. Jene Skeptiker seien darauf verwiesen, dass es alles andere als ein blosser Tropfen auf den heissen Stein ist, eher im Gegenteil: die privaten Wohltätigkeitsaktionen bilden den Unterbau einer sich selbst organisierenden Solidargemeinschaft, die in Zeiten der Not Menschlichkeit beweist. Auf diesem Fundament lässt sich nach Überwindung der Krisen und Probleme eine intakte Zivilgesellschaft errichten.
Unsere Performance als Hutaaf Elhurriyyeh bildete den Abschluss der Singener Veranstaltung, die ich stellvertretend für viele andere ähnliche Events hier beschreibe. Es sollen ja nicht allein die Bilder von emotional engagierten Protesten in den Strassen in der Erinnerung bleiben. Das Gesamtbild eines Volkes, das den Mut zur Veränderung wahrgenommen hat, umfasst viele Facetten, die Melodie der Revolution besteht eben nicht nur aus lauten, sondern auch aus leisen Tönen und auch aus Zäsuren. Einem dieser leiseren Töne, die die Harmonie der Komposition entscheidend mittragen, durfte ich an diesem Samstagnachmittag beiwohnen.
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